Lecanemab: Weltweite Kritik an endgültiger Zulassung
10. Juli 2023
Lecanemab - Weltweite Kritik an endgültiger Zulassung - Musa Citak - TPS-Therapie

Lecanemab: Weltweite Kritik an endgültiger Zulassung

FDA lässt Alzheimer-Medikament zu, doch Fachleute warnen vor dramatischen Folgen

Am 6. Juli 2023 markierte die Anti-Alzheimer-Substanz Lecanemab einen kritischen Meilenstein in den USA, der sowohl von manchen ersehnt als auch von anderen befürchtet wurde: Die Food and Drug Administration (FDA), die amerikanische Aufsichtsbehörde für Arzneimittel, erteilte dem Medikament endgültig ihre Zulassung, wodurch es nun im US-Markt verfügbar ist. Unter dem Handelsnamen „Leqembi“ bekannt, ist das Medikament für die intravenöse Anwendung unter strengen Kontrollen vorgesehen und wird nun offiziell an Alzheimer-Patienten abgegeben. Was noch im Raum steht, ist die Frage, ob dieses kontroverse Medikament, dessen therapeutische Wirkung als bescheiden eingestuft wird und das bedeutende Risiken birgt, auch in Europa grünes Licht bekommen wird.

Ist Lecanemab ein Hoffnungsschimmer für Patient:innen oder stehen andere Interessen im Vordergrund?

Die Debatte um Lecanemab ist seit Monaten intensiv und oftmals kontrovers: Einige Experten feiern trotz der doch sehr begrenzten Erfolge einen „Durchbruch“ und sprechen von einer „Hoffnung für Millionen“. Diese Meinungen werden oft von medialer Begeisterung begleitet, die die erheblichen Nebenwirkungen des Medikaments nur selten in den Vordergrund rückt. Zahlreiche internationale Wissenschaftler:innen verfolgen jedoch mit kritischen oder sogar alarmierten Blicken die aktuellen Entwicklungen. Es steht die Frage im Raum, ob Lecanemab tatsächlich ein Hoffnungsschimmer ist – und wenn ja, für wen? Geht es wirklich um die Patient:innen oder doch vielmehr um die Börsenkurse des produzierenden Unternehmens?

Zur Erklärung: Lecanemab soll gemäß Studien, wie alle anderen zuvor in Studien allerdings gescheiterten Antikörper die Amyloid-Last reduzieren, also die Protein-Ablagerungen zwischen den Nervenzellen –  und zwar um 27 Prozent  bei Alzheimer-Patient:innen im beginnenden Frühstadium.

Dies ist zwar statistisch signifikant, also auffällig genug, um nicht als Zufall bewertet zu werden. Allerdings ist noch nicht klar, so geben die Lecanemab-Forschenden selbst zu, inwiefern die Patient:innen den Unterschied im Alltag wirklich bemerken dürften. Auch ist aus den Daten nicht abzuleiten, wie lange ein möglicher Effekt überhaupt anhält und wie frappant die Nebenwirkungen in der Praxis sein werden.

Lecanemab: Fatale Nebenwirkungen, Todesfälle und alarmierte Forschende

Denn Lecanemab, wie gesagt ohnehin nur bei früher beginnender Alzheimer-Demenz erprobt, hat auch auffällig viele und vor allem signifikante Nebenwirkungen: So traten bei 12,5 Prozent der Studien-Proband:innen Gehirnschwellungen auf und bei 17 Prozent entstanden zerebrale Blutungen, was lebensbedrohlich sein kann. Mittlerweile ist auch klar, dass mehrere Todesfälle in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Medikament stehen.

So berichtet etwa der französische Neurologe Nicolas Villain, der an den Studien beteiligt war, die Studienergebnisse seien zwar statistisch signifikant, aber klinisch kaum aussagekräftig. In einem aktuellen Tweet teilt er seine Befürchtungen: „…Hoffen wir nur für die behandelten Patienten, dass es nicht zu zahlreichen Fällen wie diesem kommt…“ und verweist auf eine Untersuchung zu einem der Todesfälle, die auf die Gabe von Lecanemab während der Studien zurückzuführen sind.

Gegen den Einsatz von Lecanemab: Wissenschaftler:innen starten Kampagnen gegen die Zulassung

Weltweit laufen Fachleute Sturm gegen die Zulassung  und viele Wissenschaftler:innen warnen zudem davor, sich nicht nur auf die Amyloid-Hypothese zu verlassen.

So hat z. B. der amerikanische Neurologe Prof. Alberto Espay, Professor für Neurologie an der Universität von Cincinnati, Ohio, USA, Kolleg:innen weltweit aufgerufen, gegen die FDA-Zulassung zu protestieren.

In der Petition, die bereits mehrere hundert Kolleg:innen unterzeichnet haben, fasst er seine Begründung ebenso knapp wie klar zusammen. Unter anderem schreibt er: Lecanemab ist unwirksam und möglicherweise so schädlich, dass sein Einsatz und die Kosten nicht zu rechtfertigen sind. Neben den bekannten Nebenwirkungen, nahm auch die Größe der Gehirne der mit Lecanemab behandelten Personen deutlich ab. Eine Verringerung der Hirngröße wird in der Regel als Zeichen einer Hirndegeneration angesehen. Außerdem wurden drei Todesfälle mit der Lecanemab-Behandlung in Verbindung gebracht.

Lecanemab-Jahreskosten: 26.500 Dollar, wobei jedenfalls 7.000,– Dollar privat zu bezahlen sind

Hinzu kommen die horrenden Kosten: Der Preis des Medikaments beträgt 26.500 US-Dollar pro Jahr und ist damit um ein Vielfaches höher als der Preis eines herkömmlichen Alzheimer-Medikaments wie Donepezil, dessen Nutzen zwar bescheiden, aber größer als der von Lecanemab ist. Die Behandlung von nur einem Zehntel der 6,7 Millionen Amerikaner:innen, von denen angenommen wird, dass sie an Alzheimer leiden, würde das dortige Medicare-Budget aushöhlen und die Patient:innen und ihre Familien mit etwa 7.000 US-Dollar an Zuzahlungen pro Jahr belasten, ohne dass es zu einer spürbaren Verbesserung oder gar Verschlechterung käme. Hinzu kommen die Kosten für die nötigen Untersuchungen, insbesondere die Bildgebung, und für die medizinische Betreuung.

Wie steht es um Lecanemab in Europa bzw. in Deutschland?

In Europa befindet sich das Medikament derzeit in der Prüfung bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in Amsterdam. Die Behörde wird sich voraussichtlich Ende dieses Jahres oder Anfang 2024  dazu äußern, lehnte jedoch zum jetzigen Zeitpunkt eine Stellungnahme ab.

Für den Fall, dass Lecanemab – übrigens auch hier entgegen der Meinung europäischer Fachleute – in Europa ebenfalls zugelassen würde, kämen ohnehin nur ein Bruchteil der an Alzheimer-Demenz erkrankten Menschen für die Behandlung mit den Lecanemab-Infusionen infrage. Auch wie viel das Präparat in Deutschland für die Patient:innen kosten würde und wo die Patient:innen überhaupt behandelt werden sollten bzw. könnten, steht noch nicht fest.

Apotheken-Umschau: Nur 20.000 deutsche Patient:innen könnten überhaupt mit Lecanemab behandelt werden

In  hausärztlichen Praxen, so schrieb die Apotheken Umschau bereits in ihrer April-Ausgabe, könnte Lecanemab bei uns überhaupt nicht abgegeben werden. Die Behandlung ist zeit- und betreuungsintensiv, da das Medikament alle 14 Tage intravenös verabreicht werden muss und die Patient:innen regelmäßig im MRT überwacht werden müssen. Und da die Patient:innen strenge Kriterien erfüllen müssen – die Krankheit darf nur im frühen Stadium sein, ohne dass bereits Symptome erkennbar sind, viele andere Co-Erkrankungen müssen ausgeschlossen werden – würden von den rund 1,1 Millionen an der Demenz-Form Alzheimer erkrankten Menschen nur ca. 20.000 Betroffene überhaupt für die Therapie infrage kommen.

Therapie-Methoden wie die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) punkten stattdessen weiter

Es muss in diesem Zusammenhang abschließend die berechtigte Frage in den Raum gestellt werden, weshalb moderne, bestens erforschte, längst klinisch erwiesen sichere und vielfach wirksame Gehirnstimulationsverfahren wie die Transkranielle Pulsstimulation und auch andere Neurostimulationsmethoden in der öffentlichen Diskussion bislang kaum zur Kenntnis genommen werden. Im Gegensatz zu Lecanemab können und werden solche Methoden längst und bei manchen Indikationen bereits wissenschaftlich anerkannt an zahlreichen Uni-Kliniken, Krankenhäusern und Praxen erfolgreich angewandt. Die TPS hat darüber hinaus den Vorteil, dass die Patient:innen ambulant behandelt werden können und die höchst seltenen, kurzen Nebenwirkungen marginal und zu vernachlässigen sind. Bei mittlerweile über 5.000 behandelten Patient:innen wurde noch kein einziges Mal eine sog. signifikante Nebenwirkung festgestellt – auch nicht im Langzeitverlauf über mehrere Jahre.

Es steht also im Sinne der Betroffenen und deren Angehörigen, aber auch im Sinne unseres längst überlasteten Gesundheits- und Pflegesystems zu hoffen, dass moderne Therapieformen auf physikalischer Basis die Möglichkeiten der Pharmazie endlich ausweiten und dazu beitragen können, dass den Patient:innen im Hier und Heute gefahrlos und effektiv geholfen werden kann.

Quelle:

https://www.apotheken-umschau.de/krankheiten-symptome/neurologische-erkrankungen/neues-alzheimer-medikament-hoffnung-auf-hoffnung-955629.html

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